vom 6.Juni bis 11. Juni 2012
Wir sind wieder im Euroland.
Von der Grenze zwischen Lettland und Estland blieben nur ein paar langsam vor sich hin rottende Gebäude und die Videoüberwachung übrig. Ein Schild verrät, dass man jetzt in Estland ist, das ist alles. Wir freuen uns jedesmal über das wenigstens in dieser Hinsicht vereinte Europa, dass uns ein Reisen ohne Grenzkontrollen ermöglicht.
Wir kommen relativ früh in Pärnu an, drehen eine Runde mit dem Fahrrad durch die Stadt und an den 3 km langen Strand. Dort nutzen die Kite-Surfer den guten Wind. Pärnu hat den Beinamen "Sommerhauptstadt", die vielen Hotels und Restaurants lassen erahnen, wieviele Bade- und Kurgäste in den nächsten Wochen hier Urlaub machen weden. Noch ist es aber sehr ruhig, am Campingplatz dominieren einmal nicht die Wohnmobile der deutschsprachigen Reisenden, sondern die der Finnen. Dort sind bereits Schulferien und es ist entsprechend voll.
Auf Tallinn, die Hauptstadt Estlands mit 400.000 Einwohnern, Kulturhauptstadt Europas 2011 und seine seit 1997 zum Welterbe der UNESCO zählende Altstadt sind wir schon sehr gespannt.
Vom Campingplatz fahren wir mit den Rädern abseits des Verkehrs, meistens am Meer entlang, bis zum Rathausplatz und stellen dort die Räder ab. Nun geht es zu Fuß kreuz und quer durch die Stadt, von der Unterstadt auf Treppengängen und steilen Kopfsteinpflastergäßchen rauf in die Oberstadt zum Domberg und wieder zurück.
Ein Prospekt beschreibt Tallinn zutreffend als moderne Stadt mit mittelalterlichem Flair. Das "Mittelalter", sprich die Altstadt, zieht Besucher aus aller Welt in Scharen an. Tallinn ist voll, sehr voll. Wenn dann auch noch ein paar Kreuzfahrtschiffe im Hafen ihre Gäste "ausspucken", kommen noch einmal ein paar Tausende dazu. In der Altstadt reiht sich ein Lokal an das andere und alle sind gut besucht. Hier haben wir zwar nicht billig, aber gut gegessen.
Die Altstadt ist umwerfend, man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Jedes Haus, jede Fassade und auch die Details sind wunderschön und perfekt restauriert, echte Schmuckstücke.
Vom Domberg hat man einen schönen Blick auf die Dächer und Türme der Stadt bis zum modernen Fährterminal und dem Anleger der großen Ozeanriesen.
Um sich die Stadt genauer anzusehen und auch die geschichtlichen Hintergründe und Zusammenhänge besser zu verstehen, die Museen und Galerien zu besuchen und in das Leben der Bewohner einzutauchen, bräuchte man sehr viel Zeit, so haben wir nur einen groben Überblick gewonnen, der uns aber sehr gut gefallen hat.
Der Laheema Nationalpark liegt ca. 50 km östlich von Tallinn. In den Wäldern und Mooren gibt es u.a. auch Bären und Elche, wir haben leider keine gesehen. Laheema heißt soviel wie Buchtenland. Einige der Buchten haben wir besichtigt und u.a. über die Findlinge gestaunt, die auf den Halbinseln, Landzungen und Sandbänken verstreut sind.
Neben viel unberührter Natur liegen hier auch einige der schönsten Gutshöfe Estlands. Einer der bekanntesten und besterhaltenen ist das Herrenhaus Palmse, das mit seinen vielen Nebengebäuden (Orangerie, Stallungen, Scheunen etc.) in eine schöne Parklandschaft eingebettet ist. Die Parkanlage zählt in Estland mit zu den größten. Das Restaurant war leider geschlossen, hier hätte es uns bestimmt geschmeckt.
Das Herrenhaus ist heute ein Museum, die "Bewohner" tragen zeitgenössische Kleidung. In einigen Räumen stehen Kleiderständer mit Entwürfen einer ungarischen Designerin, die im Eßzimmer z.B. Motiv und Farbe des gedeckten Speiseservices in den Kleidern wieder aufnehmen, sehr hübsch.
Von Palmse aus ging es dann durch den Wald an die Küste ins alte Fischerdorf Altja mit seinen schönen Holzhäusern. Im Altja-Körts, einem urigen Gasthaus, in dem von den gezimmerten Holzbänken über das Geschirr aus Keramik und der in Leinen gekleideten Bedienung wirklich alles paßt, haben wir uns dann erst einmal hervorragend gestärkt. Als "Vorspeise" Lachs mit Gemüse und als Hauptgericht Schweinebraten, Jochen wurde satt!
Weiter ging es zu einem weiteren alten Fischerdorf Vergi und dann ins vielleicht schönste Dorf Estlands, nach Käsmu. Hier haben wir auch übernachtet.
Es ist Fußball-Europameisterschaft, aber hier im Baltikum interessiert das kaum jemanden, man kann daher die Spiele auch nicht in einer Kneipe oder auf einem Campingplatz verfolgen. Glücklicherweise gibt es fast überall Internet, so dass wir die Spiele der deutschen Mannschaft mit Umwegen über ausländische Sender sehen konnten (wir haben keinen Fernseher). ARD und ZDF sendet den Livestream nur in Deutschland, gemein!
Bevor wir nun den wunderschönen Laheema Nationalpark verlassen, schauen wir uns in Sagadi noch einen weiteren Gutshof an, den man aber nur nach Voranmeldung auch innen besichtigen kann. Er hat einen viel ländlicheren Charakter als Palmse.
Wir fahren nun weiter nach Osten an den Peipussee. Er ist einer der größten Seen Europas, der Bodensee passt hier mehrmals rein. 37 verschiedene Fischarten soll es in ihm geben, gefischt wird nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter durch Eislöcher. Da die Grenze zu Rußland mitten durch den See läuft, passen die Grenzer auf beiden Seiten auf, dass sich niemand "verläuft".
Estland ist ohnehin schon dünn besiedelt, aber hier im Osten werden die Ortschaften seltener, die Weiler sind kleiner und es gibt mehr Störche als Bewohner.
Die Örtchen am See haben einen ganz eigenen altmodischen Charakter, bunte Holzhäuschen, mit mindesten zwei Fenstern zur Strassenseite, säumen rechts und links den Weg, dahinter gibt es Gärten, in denen in langen Reihen Lauchzwiebeln und anderes Gemüse gezogen wird, daher der Spitzname "Zwiebelrussen", die die Esten diesen sog. Altgläubigen gegeben haben. Es sind Russen, die bereits im 18.Jh. an den See gekommen sind und hier seitdem ihre besondere Form der russisch-orthodoxen Liturgie pflegen und auch sonst in einer streng abgegrenzten und isolierten Gemeinschaft leben.
Um diese alten Traditionen zu erhalten, gibt es z.B. in Kolkja ein Restaurant mit typischen Spezialitäten der Altgläubigen. Wir haben es ausprobiert, es hat uns hervorragend geschmeckt. Der Zwiebelsalat mit Sauerrahm war ganz anders als erwartet, nicht scharf und auch die ätherischen Öle der Lauchzwiebel fehlten, sehr fein. Das Fischschaschlik war ebenfalls sehr gut.
Im Lokal saß neben uns ein netter Este, der uns gleich noch zwei Tipps mit auf den Weg gab: Schloß Alatskivi und in Tartu die Chocolaterie "Pierre".
Schloß Alatskivi ist ein neogotisches Gutshaus, das Schloß Balmoral in Schottlland zum Vorbild hat. Auch der Schloßpark ist englischem Vorbild nachempfunden.
Unser letzter Aufenthalt in Estland ist die nette Universitätsstadt Tartu mit rund 100.000 Einwohnern, die zweitgrößte Stadt Estlands und ein wichtiges Kulturzentrum mit über 30 verschiedenen Museen und Galerien. Es gibt viele nette Cafés und Restaurants. Am Sonntag war es kein Problem, mitten im Zentrum mit dem Wohnmobil einen (kostenfreien) Parkplatz zu finden.
Der Empfehlung aus Kolkja sind wir natürlich gefolgt und haben im "Pierre" eine sagenhaft gute Marc de Champagne Torte gegessen.
Und damit verlassen wir das schöne Estland entgültig Richtung Lettland. Hier hat es uns gut gefallen, wir haben viel gesehen.
Ein Wermutstropfen waren manchmal die vielen Schnaken, die am späten Abend den Aufenthalt im Freien etwas vermiesten.
Neu war für uns auch, dass die Sonne erst um 23.00 Uhr unterging und vor 3.00 Uhr bereits wieder auf, richtig dunkel war es nie.
Lettland haben wir dann nur durchquert, es hat in Strömen geregnet und am 11.Juni waren wir wieder in Litauen.